Im November 2018 durfte FEMNET mit gleich vier Gästen aus verschiedenen Produktionsländern der Bekleidungsindustrie Hochschulen und Universitäten besuchen. Im Mittelpunkt der Speakers Touren „Stoppt den Ausverkauf – Wir zahlen den Preis für billige Kleidung“ und „Gewalt gegen Frauen in der Bekleidungsindustrie in Indien“ stand die Aufklärung von Studierenden, die sich in ihrer zukünftigen beruflichen Praxis mit Bekleidungsproduktion beschäftigen werden. Manager_innen, Designer_innen und Bekleidungstechniker_innen müssen über die globalen Produktionsketten informiert sein, denn sie entscheiden über umweltgerechte und soziale Arbeitsbedingungen in der internationalen Modeindustrie.
Auf Einladung von FEMNET waren Frauen aus Bangladesch und Myanmar in Deutschland zu Gast, um von der Situation vor Ort zu berichten und von ihrem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen.
Khin Nilar Soe, genannt Soe Lay, ist die stellvertretende Generalsekretärin der Industrial Workers Federation of Myanmar (IWFM) sowie Vorsitzende der Gewerkschaft Yangon Regional Industrial Workers Union. Soe Lay arbeitet in einer Bekleidungsfabrik und setzt sich auch dort für die Arbeitsrechte ihrer Kolleg_innen ein, indem sie mit Vertreter_innen von internationalen Markenherstellern, Fabrikmanagern und –besitzern verhandelt.
Kalpona Akter ist eine der bekanntesten Aktivistinnen Bangladeschs. Bereits mit 12 Jahren begann sie mit der Arbeit in Bekleidungsfabriken. Wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements wurde sie später jedoch entlassen und bald auf die „schwarze Liste“ der Fabriken gesetzt. Dennoch hat sie immer weitergekämpft. Seit dem Jahr 2000 arbeitet Kalpona in Vollzeit als Aktivistin. Sie ist Geschäftsführerin des Bangladesh Center for Worker Solidarity (BCWS), das sich für Arbeitsrechte in der Bekleidungsindustrie einsetzt. 2010 saß sie dafür einen Monat im Gefängnis. Für ihr unermüdliches Engagement wurde sie 2016 mit dem Alison Des Forges Award von Human Rights Watch ausgezeichnet.
Insgesamt wurden Vorträge an fünf Hochschulen vor über 250 Studierenden gehalten sowie die Fachkonferenz „International Conference on Sustainability & Responsibility“ der Cologne Business School besucht, die sich u.a. an Studierende und Lehrende im CSR Management richtete.
Soe Lay berichtete von ihren eigenen Erfahrungen als Näherin: „Ich habe im Jahr 2000 angefangen in der Fabrik zu arbeiten, da war ich 17 Jahre alt. Es gab damals viele, die noch jünger waren als ich und in den Fabriken gearbeitet haben. Es gab praktisch keine Arbeitsgesetze während des Militärregimes, darum gab es sehr viel Kinderarbeit. Ich habe meistens 13 Stunden am Tag gearbeitet, an sechs oder sieben Tagen in der Woche. Dafür habe ich ungefähr 10 Euro im Monat bekommen. Das war natürlich überhaupt nicht genug. Ich habe mit meinen Eltern und meinen Geschwistern zusammengewohnt, sodass wir uns alle die Miete teilen konnten. Trotzdem mussten wir ständig Schulden machen, weil das Geld am Ende des Monats nicht zum Überleben gereicht hat.“
Die Studierenden hatten viele Fragen an die Gäste, das Feedback fiel insgesamt sehr positiv aus und hat an vielen Hochschulen auch nach dem Vortrag noch für Gesprächsstoff gesorgt: „…man konnte fast eine Stecknadel fallen hören, so konzentriert und gleichermaßen bewegt lauschten die etwa 80 Studierenden den beiden Aktivistinnen aus Bangladesh und Myanmar. […] Eine gelungene Veranstaltung mit mutigen Frauen, die mit Sicherheit viele Studierende zum Nachdenken angeregt hat.“ (Zitat aus dem Bericht zur Veranstaltung am Euro-Business-College (EBC) in Hamburg: https://www.ebc-hochschule.de/news-presse/news/news-detail/article/zwei-beeindruckende-aktivistinnen-aus-bangladesh-und-myanmar-berichten-von-ihrem-kampf-fuer-faire-loeh.html).
Die Gewerkschafterin Soe Lay (links) und Übersetzerin Ohnmar Khin berichten vom Kampf für bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie Myanmars
Die Zivilgesellschaft im Textilbündnis lud zwei Gäste aus Indien ein, um über ihr Engagement gegen geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz zu sprechen.
Mary Viyakula ist Geschäftsführerin von SAVE (Social Awareness & Voluntary Education), einer NGO in Tamil Nadu, Indien. Das Büro der NGO befindet sich in Tiruppur, bekannt als Stadt des T-Shirts. Als Programmdirektorin leitet sie das „Labour Resource Centre“ (LRC), ein Trainingsprogramm von SAVE, das Arbeiterinnen über ihre Rechte aufklärt und Schulungen für Gewerkschaften beinhaltet. Sie hat zudem zahlreiche Befragungen über die Arbeitsbedingungen der Frauen in den Spinnereien und Fabriken durchgeführt.
Deepika Rao arbeitet seit drei Jahren für Cividep India. Die NGO in Bangalore, Karnataka untersucht die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeiter_innen in globalen Lieferketten. Die Ergebnisse dieser Recherchen nutzt Cividep, um sich für bessere Löhne, sicherere Arbeitsplätze und gegen Diskriminierung in Fabriken einzusetzen, die für globale Markenunternehmen produzieren.
Die Gäste aus Indien sprachen an vier Hochschulen zu über 150 Studierenden. Dabei berichteten Sie von den prekären Arbeitsverhältnissen der globalen Textilindustrie, in der 80% Frauen beschäftigt sind. Gewalt gegen Frauen in Form von sexueller Belästigung, Diskriminierung bei der Jobauswahl oder unrechtmäßigen Kündigungen von schwangeren Frauen tritt dort sehr häufig auf. In ihrem Vortrag berichteten die Referentinnen aus ihrer Arbeit gegen geschlechtsspezifische Gewalt in der indischen Textilindustrie. In Indien ist es gesetzliche Vorschrift, dass in den Fabriken Komitees gegen geschlechtsspezifische Gewalt gebildet werden. Über die Umsetzung dieses Gesetzes sowie die aktuellen Pläne der Internationalen Arbeitsorganisation für eine Konvention zu geschlechtsspezifischer Gewalt wurde in den Vorträgen berichtet.
Mary zeigte in ihrem Vortrag zunächst die verschiedenen Formen auf, wie sich geschlechtsspezifische Gewalt ausdrücken kann. Dabei geht es nicht nur um körperliche Gewalt und sexuelle Belästigung - geschlechtsspezifische Gewalt fängt früher an und wirkt sich häufig weniger sichtbar aus. So werden in den Bekleidungsfabriken bewusst junge Frauen eingestellt, da diese häufig wenig über ihre Rechte wissen, sich weniger beschweren und seltener in Gewerkschaften organisieren. Meist verdienen sie deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Sollten sie schwanger werden, wird ihnen der Job häufig gekündigt. Falls sie doch weiterarbeiten, bieten die Arbeitsbedingungen keine angemessenen Umstände für schwangere Frauen. Notwendige Pausen werden nicht gestattet und es gibt keinen Mutterschutz und keine Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Deepika hat in ihrem Vortrag vor allem einen Schwerpunkt auf die Probleme von Wanderarbeiter_innen gelegt. In Indien migrieren viele Arbeiter_innen von den ärmeren Regionen im Norden und Nord-Osten des Landes nach Tiruppur und Bangalore, um dort in den Textilfabriken zu arbeiten. Meist werden diese Arbeiter_innen von Recruitingfirmen in den ländlichen Strukturen angeworben, wobei ihnen häufig falsche Versprechungen gemacht werden.
Bei den Vorträgen kam im Publikum die Frage auf, ob es nicht sinnvoller wäre, die jungen Frauen bereits vor ihrer Ankunft in den Spinnereien über ihre Rechte und die Situation in den Spinnereien aufzuklären. Mary erläuterte, dass SAVE dies auch tue. Jedoch sei dies eine Sisyphosaufgabe, da die Arbeiter_innen aus sehr vielen Gebieten und zunehmend auch von immer weiter weg rekrutiert werden. Mary sagte dazu: "It feels like you are running around the bush."
Bei jedem Vortrag war die erste Frage, die Mary und Deepika gestellt wurde, was aus ihrer Sicht denn die Menschen in Deutschland tun könnten, um die Situation in den Produktionsbetrieben zu verbessern. Beide hoben dabei hervor, dass es sinnvoll sei, Kleidung mit glaubwürdigen Nachhaltigkeitssiegeln zu kaufen. Dies sei jedoch nur ein Anfang, der vor allem signalisiere, dass einem das Thema wichtig ist. Für systemischen Wandel in den Produktionsbetrieben braucht es mehr. Mary sagte, dass die Markenunternehmen direkt gefragt werden sollten, wie die Kleidung produziert wird. Zum Beispiel indem sich Kund_innen direkt an das Verkaufspersonal wenden. Wer mehr tun möchte, sollte sich aktivistisch organisieren und dadurch die Arbeiter der NRO in den Produktionsländern unterstützen.
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