Am 15. und 16. November 2018 fand die FEMNET-Konferenz ‚SEWlutions für die Zukunft der Bekleidungsindustrie? Menschenrechte und Maschinen‘ im Rudolf-Steiner-Haus in Hamburg statt. Mit 150 Teilnehmenden war es die bislang Größte der vier Konferenzen, die FEMNET in den letzten Jahren ausgerichtet hat. Neben den Studierenden aus Mode- und Wirtschaftsstudiengängen, waren auch erfreulich viele Dozent_innen in Hamburg anwesend. Dass sich das Thema Nachhaltigkeit in der Mode an Hochschulen hoher Beliebtheit erfreut, zeigten auch die rund 100 weiteren Interessierten, deren Anmeldungen wir leider nicht mehr berücksichtigen konnten.
Die Leitfrage der Konferenz lautete: Wie können wir die Bekleidungsindustrie gerechter gestalten? Die zunehmende Automatisierung der Produktion verändert Arbeitswelten – und dies wird sich besonders auf Menschen im Globalen Süden auswirken. Entscheidend ist jedoch, wie politische Akteure (zum Beispiel Regierungsvertreter_innen, Parlamentarier_innen, Bürger_innen, Gewerkschafter_innen, Arbeitgebervertreter_innen) und ökonomische Akteure (zum Beispiel Unternehmensmanagement und Konsument_innen) die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für den technologischen Wandel umsetzen. Diese Annahmen lagen bereits den beiden Keynotes zum Einstieg der Konferenz zugrunde.
Gerd Hofielen (Humanistic Management Practices gGmbH) präsentierte anhand der Frage ‚Wem sollte die Wirtschaft dienen?‘ das Modell der Gemeinwohlökonomie (PDF-Download). Er zeigte, dass ein „Andersdenken“ gegen die Profitmaximierung bereits bei einigen Unternehmen angelegt ist. Auch zitierte er das Grundgesetz (Art. 14): „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Auf dieser Grundlage präsentierte Hofielen die Gemeinwohlbilanz als Instrument für Unternehmen, um soziale und ökologische Aspekte in allen Bereichen der Wertschöpfungskette konsequent mitzudenken. „Wenn wir wirtschaften, soll niemand davon Schaden nehmen“, so Hofielens Kernbotschaft.
Im Anschluss sprach Dennis Görlich (Leiter des Global Challenges Center am Institut für Weltwirtschaft Kiel) und zeichnete ein Bild, wie Digitalisierung und Automatisierung (PDF-Download) sich auf die Zukunft der Bekleidungsindustrie auswirken und was die Produktionsländer des Globalen Südens möglicherweise erwartet. 3D-Design, digitaler Druck oder automatisiertes Zuschneiden – anhand verschiedener Beispiele erläuterte Dennis Görlich absehbare Entwicklungen in der textilen Kette. „Durch die Digitalisierung verschmilzt ‚lokal‘ und ‚online'“, erklärte er. Digitale Kommunikation helfe Produzent_innen, die Lieferketten zu entschlacken und ermögliche Kosteneinsparungen. Aber auf wessen Kosten? Diese Prozesse müssen aktiv gestaltet werden. „Die Automatisierung wird kommen. Es bleibt die Frage wann und wen es betrifft.“
Wer sitzt letztlich am entscheidenden Hebel für Veränderungen hin zu einer gerechten Modeindustrie – in Gegenwart wie Zukunft? Für Unternehmensvertreter_innen sind es Politik und Verbraucher_innen; für die Dozent_innen und Studierenden sind es die Unternehmen. Diese Frage wurde bis zuletzt kontrovers diskutiert.
In den ersten Workshops wurde die Rolle von Unternehmen auf dem Weg zu einer sozial gerechten Bekleidungsindustrie vertieft untersucht.
Gerd Hofielen füllte die aus der Keynote bekannte Gemeinwohlbilanz am Beispiel des Outdoor-Unternehmens VAUDE (PDF-Download) mit Leben. Als Gegenbeispiel diente ihm HUGO BOSS (PDF-Download); der anwesende Unternehmensvertreter von HUGO BOSS befeuerte die angeregte Debatte zwischen den beiden „Lagern“. Die beiden Unternehmen direkt zu vergleichen sei aufgrund der großen Unterschiede schwierig, gab das Publikum zu bedenken. Transparenz sei ein wichtiger Schritt und Gemeinwohlbilanzen können Unternehmen dabei ein nützliches Instrument sein, so Hofielen. „Ich bin ungeduldig. Ich habe viele Studierende hier, die sind auch ungeduldig. Wir brauchen simple, gut umsetzbare Lösungen!“ Die große komplexe Gemeinwohl-Matrix des Beraters hat noch nicht alle Teilnehmenden überzeugt. „Es braucht kritische Stimmen aus der organisierten Zivilgesellschaft, Akademia und anderen, damit sich bei den Unternehmen etwas ändert“ bestätigt auch der Vertreter von Hugo Boss.
Thekla Wilkening diskutierte mit den Teilnehmenden verschiedene Ansätze der Circular Fashion Economy (PDF-Download), darunter auch das von ihr mitgegründete Projekt Kleiderei. Im Rahmen der Sharing Economy geht es darum, den Wirkungsgrad der Kleidung, die sich bereits auf dem Markt befindet, zu erhöhen. Dass sich das unternehmerisch rentiert, rechnet Wilkening genau vor: Je länger ein gemietetes Kleidungsstück bei einer Nutzerin oder einem Nutzer bleibt, desto geringer wirken sich die Kosten für Waschen und Retoure auf die Gesamtrechnung aus. Trotz grundsätzlicher Begeisterung für das Konzept – die Kund_innen-Anfragen des Start-ups gingen so steil nach oben, dass sie die Nachfrage irgendwann nicht mehr bedienen konnten – bleiben Zweifel bei den Teilnehmenden: „Ich finde, das ist ein gutes Modell. Aber ich glaube, die Gesellschaft ist dafür noch nicht bereit, das ist noch nicht massentauglich.“
Mit genau dieser Frage beschäftigten sich die Studierenden und Dozent_innen im Workshop von Sarah Herms, Sustainability Manager – Lead Circular Economy bei Tchibo. Das Unternehmen bietet seit Anfang des Jahres mit Tchibo Share Kinderkleidung zum Mieten an und wagt damit das Experiment, ob ein Circular Business Modell im Bereich Kleidung mittlerweile auch im Mainstream funktionieren kann. Welche Akteur_innen müssen eingebunden werden, damit ein solches Konzept funktioniert? Tchibo sieht Potenzial im Sharing-Markt, aber letztlich bleibt abzuwarten, wie die Kund_innen sich verhalten. Wie viel Kleidung wird gemietet? Wie lange wird sie behalten? Wie oft lassen sich Kleidungsstücke wiedereinsetzen? Die Hoffnung: Ein Mietservice ist ein sehr bequemer Weg, Second-Hand Kleidung zu nutzen.
Bei beiden Workshops bleibt die Frage offen, ob es eigentlich nachhaltig ist, Second Hand Kleidung zu mieten und wieder abzugeben. Ist das nicht auch wieder Fast Fashion? Das Angebot allein ist wohl nur die halbe Lösung; die Entscheidung der Verbraucher_innen, wie oft der Inhalt des Kleiderschranks ausgetauscht wird, entscheidet über die andere Hälfte.
Ebenfalls nicht ganz unerheblich bei dieser Frage ist die Art der Kleidung, die ver- und geliehen wird. Wie sich ein „fairer Ursprung“ für einen Teil der textilen Kette gewährleisten lässt, erklärten Stefan Niethammer von 3FREUNDE und Michaela Reithinger von Fairtrade Deutschland. Was hat es mit dem neuen Fairtrade-Textil-Standard auf sich? Die Besonderheit des Standards liegt darin, dass die gesamte textile Kette zurückverfolgt werden kann – vor allem im Hinblick auf soziale Kriterien. Aber die textile Kette ist komplex. Niethammer berichtet aus seinen eigenen Erfahrungen, dass bereits in einem einzigen Schritt in der Kette die Etablierung von Gewerkschaften und die Zahlung existenzsichernder Löhne eine echte Herausforderung ist. Im Rahmen des Standards können verschiedene „verantwortungsvoll produzierte Fasern“ verarbeitet werden, ökologische Kriterien sind jedoch zweitrangig. Das traf bei den Teilnehmenden durchaus auf Kritik.
„Alles startet mit Bewusstsein“, sagte Rolf Heimann, Vorstand der hessnatur Stiftung. In seinem Workshop ging es um angewandte Nachhaltigkeit und wie man diese in (Bekleidungs-)Unternehmen implementieren kann. Als Berater begleitet er Unternehmen auf diesem Weg. Manchmal entscheiden sie sich, bestimmte Herausforderungen direkt anzugehen und andere zu verschieben. Auf die Frage, ob ihn diese Priorisierung statt Ganzheitlichkeit störe, hieß es: „Wir müssen im Berufsleben ganz oft unentscheidbare Entscheidungen treffen.“ Letztlich steht für Heimann jedoch fest, dass er zentrale Punkte immer konkret anspricht. Aber Veränderungen sind Prozesse. Aus Visionen müssen Konzepte und Strategien entwickelt werden. „Es ist viel wichtiger Prozesse zu starten, anstatt sich zu hohe Ziele zu stecken.“ Wenn man zu schnell zu viel will, führt das am Ende oft zu Frustration.
In der zweiten Workshoprunde lag der Fokus auf Lösungsansätzen von Verbraucher_innen und Bürger_innen.
Dr. Silke Kleinhückelkotten (Download der Präsentation, PDF-Datei) (ECOLOG-Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung) sowie Aneta Woznica (Download der Präsentation, PDF-Datei) (Medical School Hamburg) stellten für den Forschungsverband InNaBe – Innovationen für nachhaltige Bekleidung die Ergebnisse des Projektes Slow Fashion vor. Slow Fashion? Das beinhaltet umwelt- und sozialverträgliche Produktion, nachhaltige Verwertung von Altkleidern und Reststoffen sowie eine lange und intensive Nutzung. Die Forschenden wollten herausfinden, inwiefern es eine Nachfrage für diese Art der Kleidung gibt. Interessanterweise ist es vielen Befragten wichtig, dass Kleidung umwelt- und/oder sozialverträglich ist, das heißt aber noch nicht, dass diese auch gekauft wird. Die Forscher_innen ordneten ihre Proband_innen verschiedenen Milieus mit unterschiedlichem Kaufverhalten zu. Insgesamt zeigte sich, dass der leichte oder schwere Zugang zu Öko-Fairer- oder Second-Hand-Kleidung für das Konsumverhalten kaum eine Rolle spielt. Wichtiger sind laut Studie vertrauenswürdige Siegel sowie transparente Informationen zum Produktionsprozess.
Norian Schneider ist Nachhaltigkeitsexperte sowie Fotograph und gestaltet zusammen mit Model und Schauspielerin Marie Nasemann den fairen Mode-Blog FairKnallt. In seinem Workshop (PDF-Download) bearbeitete er mit den Teilnehmenden die Frage, welche Rolle die Blogosphäre für einen nachhaltigeren Bekleidungskonsum spielen kann. Immerhin sind Influencer_innen die neuen Stars am Marketing-Himmel und revolutionieren Werbung, indem sie zwischen Marke und Verbraucher_innen vermitteln. Was für Viele ein Hobby ist, kann zur Herausforderung werden, wenn es plötzlich einen „Bildungsauftrag“ beinhaltet. Die Teilnehmenden erarbeiteten in Gruppen Lösungen für vier typische Herausforderungen. Beispielsweise lassen sich Filterblasen – das Problem, Menschen zu erreichen, denen das Thema noch nicht bekannt ist – überwinden, indem man sich zunächst auf Ästhetik fokussiert und die Beiträge dann nach und nach inhaltlicher werden. Die Frage, wie man Produkte zeigen kann, ohne zum Konsum zu motivieren, lässt sich regulieren, indem Kleidungsstücke explizit häufiger verwendet und dargestellt werden. Welche Kriterien sollten für die gezeigten Produkte angelegt werden? Die Schwierigkeit, in diesem Bereich einen fixen Katalog zu erarbeiten, lässt sich mit Transparenz sowie der kritischen Auseinandersetzung der Bloggenden mit der Marke ausgleichen. Zuletzt: Soll eine kleine Zielgruppe mit tiefgehenden inhaltlichen Beiträgen erreicht werden? Oder lieber eine große mit zwangsläufig oberflächlicheren Inhalten? Ein Mittelweg ist mithilfe eines klaren, gleichbleibenden Looks möglich, der durch Inhalte ergänzt wird. Es kann sogar hilfreich sein, mit zwei getrennten Bereichen zu arbeiten. Insgesamt hat es den Anschein, als müssten in der Blogosphäre Ideale zunächst etwas zurückgestuft werden, um letztlich eine signifikante Gruppe zu mehr Nachhaltigkeit motivieren zu können.
Siegel sollen Verbraucher_innen die Möglichkeit geben nachhaltiger zu konsumieren. Mittlerweile gibt es aber einen „Siegel-Dschungel“, der eher zu Verwirrung führt. Kathrin Krause vom Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. versuchte für die Teilnehmenden ihres Workshops etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Neben verschiedenen etablierten Siegeln thematisierte sie vor allem das Grundproblem bei Auditierungen. Da es keine Haftungsregeln für Auditor_innen gibt, haben sie keine rechtlichen Konsequenzen zu fürchten, wenn eine als ordnungsgemäß beurteilte Fabrik am nächsten Tag zusammenbricht. Das revolutioniert leider bisher auch der geplante „Grüne Knopf“ nicht. Dieses Siegel soll in Deutschland von staatlicher Seite eingeführt werden, macht der Verbraucherzentrale aber keine großen Hoffnungen: Ein Produkt soll dieses Siegel erhalten können, wenn es bereits ein ökologisches oder soziales Siegel trägt. Damit würde es auf den privaten Auditierungen aufbauen. Außerdem beträfe es im jetzigen Planungsstadium (der Prozess ist aber noch nicht beendet) nur die Konfektion und ließe somit viele Bereiche der textilen Kette außer Acht.
Welche Folgen mit dem aktuellen Auditierungssystem einhergehen können, zeigte Carolijn Terwindt vom European Center for Constitutional and Human Rights anhand eines konkreten Beispiels: KiK wurde mit Unterstützung der Organisation von vier betroffenen Pakistani verklagt, weil bei einem Brand in einer Zuliefererfabrik in Pakistan 112 Angestellte zu Tode kamen. Sicherheitsstandards waren nicht eingehalten worden. Hätte etwa der Brandalarm funktioniert, hätten diese Menschen vielleicht überlebt. Aufgrund ihrer Lieferbeziehung und der Abnahme großer Mengen hätte KiK Einfluss nehmen können. Zwar wurden mehrere Millionen Dollar von KiK als Entschädigung an die Opfer in Pakistan gezahlt. Aber KiK betone, das sei freiwillig – sie seien nicht haftbar. Kann es sein, dass solche Auszahlungen von Konsumentendruck und guten Willen der Unternehmen abhängig sind? Aber hat so eine Klage Aussicht auf Erfolg? Und wer würde freiwillig noch Manager_in werden, wenn es in Europa eine globale Unternehmenshaftung Haftung gäbe?
Es gibt auch andere Wege als das Konsumverhalten, um als Einzelperson mehr Druck auf Unternehmen ausüben zu können. Markus Dufner vom Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre e.V. verhilft Menschen zum Rederecht auf Aktionärsversammlungen. Dafür braucht es nur eine einzige Aktie. Entscheidend ist laut Dufner jedoch nicht die Präsenz auf diesen Treffen, sondern „die große Kunst ist es, die mediale Aufmerksamkeit am Kochen zu halten, sodass es zu einem Einlenken des Unternehmens oder zu politischen Handlungen kommt.“ Provokante Nachfrage: Ist es das Ziel, so einen Konzern in die Insolvenz zu treiben oder ihn zu fairem Handeln zu motivieren? Außerdem wollten die Teilnehmenden wissen, ob nicht eigentlich eine viel kleinteiligere Wirtschaft ohne so viele große Unternehmen nötig ist. Ist die Eigentümerstruktur von Aktienunternehmen nicht Teil des Problems?
Schon gewusst, dass durch den Anbau von Feldfrüchten für das Färben mit Pflanzenfarben die heimische Biodiversität positiv beeinflusst wird? Oder dass sich aus Orangen ein Material herstellen lässt, das zur Schuhproduktion geeignet ist? Schon einmal intensiv darüber nachgedacht, was Reparatur bedeutet und welche (ästhetischen) Möglichkeiten sie uns bietet? Oder darüber, was Nachhaltigkeitstransformation ist und wie diese in der Textilindustrie möglich ist? Zu diesen und vielen weiteren Themen präsentierten Studierende, Absolvent_innen, Forscher_innen und Dozent_innen akademische Projekte auf dem Hochschulparcours. Dass an Hochschulen mit vielfältigen Ansätzen an der gerechteren Gestaltung der Modewelt gearbeitet wird, zeigte auch die anschließende Preisverleihung des Wettbewerbs „Let’s change the fashion system“.
Fotos: © FEMNET - Kathrin Brunnhofer
Der zweite Konferenztag begann mit einer Einführung in das Bündnis für nachhaltige Textilien (PDF-Download). Die Multi-Stakeholder-Initiative aus Politik, Unternehmen, NGOs, Gewerkschaften und Standardorganisationen wurde nach der Katastrophe von Rana Plaza auf Initiative von Entwicklungsminister Müller gegründet. Das Bündnis setzt sich für ökologische, soziale und ökonomische Verbesserungen entlang der gesamten Lieferkette ein. Der Fokus lag auf der Bündnisinitiative Tamil Nadu als konkrete Vor-Ort-Maßnahme mehrerer Mitglieder. Die Region Indiens ist bekannt für ihre vielen Baumwollspinnereien, in denen die Zwangsarbeit von Mädchen und jungen Frauen ein großes Problem ist. Die Initiative geht zurück auf die NGO SAVE in Indien und wurde von FEMNET ins Textilbündnis eingebracht. SAVE führt Trainings für die Mädchen in den Fabriken durch, damit diese sich in Beschwerdekomitees organisieren.
Mary Viyakula von der Organisation SAVE aus Indien war auf der Konferenz anwesend und berichtete von dem großen Einfluss von Unternehmen. Seit diese keine Aufträge mehr in Fabriken platzieren, die in Verdacht stehen Kinderarbeit einzusetzen, habe sich in Indien vieles verändert. „Früher hatten wir viel Kinderarbeit. Wir haben erreicht, dass Kinder unter 14 Jahren nicht mehr in den Spinnereien arbeiten. Das ist ein großer Erfolg!“ Nun geht es aber darum, auch die Heranwachsenden bis zu 18 Jahren zu schützen, denn laut Gesetz dürfen Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren nur leichte Arbeiten verrichten. Faktisch aber leisten sie Schwerstarbeit, Nachschichten bis zu 12 Stunden. In einem Podiumsgespräch sprechen Stefan Engel von OTTO und Achim Lohrie von Tchibo mit Janika Walter vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Gisela Burckhardt von FEMNET über die Hoffnungen, die an das Projekt geknüpft werden.
Die kritischen Fragen aus dem Publikum betrafen das Textilbündnis insgesamt: Warum ist das Thema Living Wages so kompliziert, obwohl es eigentlich nur um Centbeträge geht? Es ist ein Wettbewerbsthema, lautet die Antwort. Lohrie von Tchibo rechnet vor, wieviel 10 Cent bei einer Massenkalkulation ausmachen. Gisela Burckhardt erwidert daraufhin nur: „Das zeigt doch aber nur, dass der Gewinn faktisch auf Kosten der Näherinnen gemacht wird.“ Applaus. „Letztlich werden wir nicht drumherum kommen, dass wir dieses ‚Race to the bottom‘ stoppen. Seit Jahren fallen die Preise. Gesetzliche Regelungen werden seit Jahren auf die lange Bank geschoben.“
Um gesetzliche Regelungen und andere Hebel der Politik auf dem Weg zu einer gerechten Bekleidungsproduktion ging es auch in den anschließenden Workshops.
Vertieft wurde das bereits diskutierte Textilbündnis mit einem Workshop. Tim Zahn ist Koordinator der zivilgesellschaftlichen Akteure im Textilbündnis und brachte den Teilnehmenden näher, was der Ansatz „prozesshafter Verbindlichkeit“ bedeutet. Die Mitglieder des Bündnisses sind verpflichtet, sogenannte Roadmaps zu erstellen und die Erreichung der selbstgesetzten Ziele transparent zu dokumentieren. Das Textilbündnis ist darauf angewiesen, dass die Bürger_innen sich die Roadmaps ansehen und den Unternehmen „auf die Füße treten“, sagte er. Tatsächlich hatte kaum ein_e Teilnehmer_in bisher je einen Blick in eine Roadmap geworfen. Dazu bot der Workshop die Gelegenheit – eine gute, denn das „Lesen“ der Roadmaps muss man tatsächlich üben. Dann lassen sich viele interessante Fragen stellen: Welches Unternehmen setzt sich welche Ziele? Wie herausfordernd sind diese? Welche Schwerpunkte haben sie? Beste Ansatzpunkte für kritische Konsument_innen-Stimmen.
Sarah Lincoln von Brot für die Welt stellt die Kampagne für ein Lieferkettengesetz vor, die 2019-21 kommen soll. Solch ein Gesetz würde deutsche Unternehmen – branchenunabhängig – verpflichten, in ihrer Geschäftstätigkeit – also auch bei Tochter- und Zulieferfirmen – Menschenrechte und Umwelt zu achten und würde sie außerdem für Schäden haftbar machen. Aktuell gibt es nur die UN-Leitprinzipien, an denen sich Unternehmen orientieren können – deren Umsetzung ist jedoch nicht verbindlich geregelt. Auch die Audits, die es bereits gibt, bringen keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Es muss ein Gesetz her.
2019 gibt es auch Neuerungen bei der ILO, der internationalen Arbeitsorganisation: Es soll eine weitere Konvention verabschiedet werden, diesmal zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Im Workshop zu diesem Thema präsentierte Gender-Expertin Antje Gothe die ILO und ihr Vorhaben. Geschlechtsspezifische Gewalt beinhaltet Gewalt gegen alle Menschen, die nicht mit den dominanten Geschlechterbildern konform gesehen werden. Wenn die neue ILO-Konvention kommt, könnte sie Gesetzeslücken von etwa 80 Ländern schließen.
Katharina Fest ist CSR-Managerin bei Blutsgeschwister und berichtet, wie sie als Mitglied der Fair Wear Foundation für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen in ihren Zuliefererfirmen sorgt. Dazu zählen auch Schritte gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Sie müssen regelmäßig nachweisen, dass es funktionierende interne Beschwerdemechanismen gibt, derer sich Arbeiter_innen anonym bedienen können. Trainings für die Mitglieder dieser Komitees gestaltet Blutsgeschwister mit Hilfe der Organisation SAVE, in der Mary Viyakula tätig ist. Im Workshop berichtete sie von ihren Erfahrungen bei der Umsetzung.
Im Workshop von Joséphine Quioc (GIZ Blockchain Lab) wurde die Frage nach Transparenz in den Lieferketten um den technischen Aspekt ergänzt. Sie versuchte den Teilnehmenden einen Einblick zu geben, inwiefern die Blockchain-Technologie (PDF-Download) genutzt werden kann, um fairere Lieferketten zu gewährleisten. „Vielleicht wollen die Konsument_innen nicht mehr für ein einfaches Tshirt ausgeben“, sagte sie. „Aber wenn sie wissen, dass das zusätzliche Geld direkt an die Näher_innen geht, würden sie vielleicht mehr zahlen. Und genau das kann Blockchain ihnen zeigen.” Ja, man muss alles quantifizieren, was in die Blockchain eingespeist werden soll. Aber dadurch lässt sich mehr abdecken, als es sich auf den ersten Blick vermuten ließe: Beispielsweise kann man über Temperatur und Luftfeuchtigkeit in einer Fabrik Aufschluss über die Arbeitsbedingungen gewinnen. Und wer validiert die Daten, welche eingespeist werden? Wenn sie einmal in der Blockchain sind, lassen sie sich nicht mehr entfernen. Wie wird gewährleistet, dass beim Einpflegen nicht manipuliert wird?
Tchibo engagiert sich im Projekt Action, Collaboration, Transformation in Kambodscha, mit dem existenzsichernde Löhne angestrebt werden. Achim Lohrie, Chief Sustainability Advisor, berichtet von den Chancen und Herausforderungen dieses Ansatzes. Das Ganze funktioniert aus seiner Sicht nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Im Moment haben die Unternehmen, die sich an ACT beteiligen, in Kambodscha eine Marktabdeckung von 40%. Mit Adidas, Lidl und GAP wären es 70%. Aber wie können diese Unternehmen gewonnen werden, bei ACT mitzumachen? Im Prinzip geht es darum, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in Kambodscha einen existenzsichernden Lohn aushandeln. Die einkaufenden Unternehmen verpflichten sich dazu, einen höheren Einkaufspreis zu zahlen und auch, dass sie weiter Aufträge im Land platzieren, nicht einfach weggehen. Je mehr Unternehmen mitmachen, umso eher funktioniert das.
Wie können Studierende und Dozent_innen bereits im Studium Grundlagen für eine gerechtere Bekleidungsindustrie legen?
Über Ideen und Initiativen informierte der Markt der Möglichkeiten (PDF-Download). Bei dem messeähnlichen Format waren unter anderem Vertreter_innen vom Netzwerk für plurale Ökonomie, der virtuellen Akademie Nachhaltigkeit, der Initiativen Weitblick oder FairQuer anwesend. Fairtrade Deutschland gab Auskunft, wie man die eigene Hochschule zur Fair-Trade-University machen kann, die Fair Trade Stadt Hamburg informierte über ihren Hochschulwettbewerb ‚Hamburg! Handelt! Fair!‘.
Zusammengefasst wurden die Gedanken der Konferenz auf dem Abschlusspodium zum Thema: Wie sehen Produktionsprozesse im Jahr 2030 aus und wie können sie sozial gestaltet werden?
Caspar Dohmen, freier Journalist und Autor, moderierte die Gesprächsrunde. Hier die Highlights:
"Die digitale Industrialisierung hat gute und schlechte Seiten. Roboter können schwere Arbeit ersetzen. Wenn sie die Arbeit von Menschen gänzlich ersetzen haben wir ein Problem." - Johannes Merck (Otto Group)
"Die Zukunft ist unvorhersehbar. Normative Zukunftsvorstellungen sind viel wichtiger: wie wollen wir leben?" - David Weigend (Futurium)
"Wir wollen auch nicht, dass Sie pleite gehen, aber wir sind gegen Profitmaximierung um jeden Preis." - Gisela Burckhardt (FEMNET)
Fotos: © FEMNET - Kathrin Brunnhofer
Im Rahmen eines Semesterprojekts mit Studierenden im Fachbereich Textil- & Bekleidungstechnik an der Hochschule Niederrhein ist eine Begleitpublikation zur Konferenz (PDF-Datei) entstanden.
Für die Inhalte der Publikation ist FEMNET e.V. nicht verantwortlich.
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Die Bildungsarbeit von FEMNET e.V. an Hochschulen wird gefördert durch
ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des
Die Konferenz wurde gefördert durch:
Die Konferenz wurde gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie die Norddeutsche Stiftung Umwelt und Entwicklung aus Erlösen der Lotterie ‚BINGO! Die Umweltlotterie‘.