Von Oktober 2014 bis Ende Januar 2015 war Regina Weidental bei der Organisation CIVIDEP in Bangalore, Indien als Praktikantin tätig. FEMNET/FairSchnitt hat den Kontakt für sie hergestellt.
Hier erzählt sie von ihrer Arbeit sowie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.
Nachdem ich mein Studium zum Design-Ingenieur Mode an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach abgeschlossen habe, stand ich vor einer großen Entscheidung. Ich hatte folgende Optionen gehabt: weiter zu studieren, ein Praktikum im Ausland zu machen oder aber einen Job zu suchen.
Als ich Gisela Burckhardt von Femnet e.V. zufällig auf einer Hochschulkonferenz getroffen und ihr von meinen Plänen erzählt habe, hat sie die Idee gehabt, dass ich mich bei einer ihrer Partnerorganisationen namens CIVIDEP in Indien für ein Praktikum bewerben kann. Und so geschah es, dass ich nach Indien kam.
CIVIDEP ist eine NGO, die sich u.a. für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Verantwortung seitens der Unternehmen, die in Entwicklungsländern wie Indien Kleidung produzieren lassen, einsetzt. Als ich ankam, konnte ich sofort mit der Arbeit beginnen, denn ein neues Projekt für den Bekleidungssektor war eingegangen. Es handelte sich um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und bestehende Beschwerdemechanismen in den Textilfabriken in Bangalore. So fing ich an die unterschiedlichen Gesetze des Bundesstaates Karnataka durchzulesen, Artikel zu dem gegebenen Thema zu sammeln und Kontakte zu nützlichen Personen wie Ärzten, Fabrikmanagern und Anderen zu knüpfen. Die Herausforderung bestand vor Allem darin, die gefundenen Dokumente auf Englisch zu verstehen und mit allen Personen fachbezogen auf Englisch zu kommunizieren.
Textilarbeiterinnen nach der Arbeit.
Foto © Regina Weidental
Bereits im ersten Monat machte ich interessante Bekanntschaften und konnte ein paar Fabriken besuchen, um ein besseres Verständnis über die herrschenden Arbeitsbedingungen zu bekommen. Die meisten gesundheitlichen Probleme sind Folgen von repetitiven Bewegungen, falscher Sitzhaltung aufgrund von nicht ergonomischen Stühlen, heißer Temperaturen in den Arbeitsräumen und fehlendes Bewusstsein in Bezug auf Schutzkleidung. Die Manager sind nicht bereit etwas zu verändern, wenn es nicht direkt zur Steigerung der Produktion führt. Auch die ArbeiterInnen selbst greifen nicht zu den sichersten Methoden, wenn sie eine bestimmte Stückzahl am Ende des Tages abliefern müssen. Denn sonst bedeutet es für sie Überstunden machen zu müssen, die teilweise nicht bezahlt werden.
Viele ArbeiterInnen werden über ihre Rechte weder vom Staat noch vom Arbeitgeber informiert. Deshalb versuchen Gewerkschaften durch Gespräche und Workshops ein stärkeres Bewusstsein für Arbeitsrecht bei den TextilarbeiterInnen zu schaffen.
Ein Mädchen in einem sehr armen Wohngebiet in Bangalore.
Foto: © Regina Weidental
Für mich als Modedesignabsolventin ist es ein spannendes Thema, um in Zukunft die Folgen der Arbeit zu erkennen und Ideen für Änderungen in meiner Branche zu entwickeln. Auch außerhalb der Arbeit gibt mir Indien einen großen Input an Inspirationen für Projektplanungen. Es ist definitiv ein Land der Kontroversen. Auf der einen Seite halten Männer Händchen auf der Straße, Kühe sind berechtigte Verkehrsteilnehmer, rote Ampeln sind kein Hindernis, Müll wird einfach um die Ecke verbrannt, auch wenn der Gestank widerlich ist und sämtliche Tiere, Kakerlaken, Raten anzieht und wenn man eine andere Hautfarbe oder Haarfarbe oder einen auffälligen Kleidungsstil hat, dann ist man das Zentrum der neugierigen Blicke. In meinem Fall habe ich alles falsch gemacht, denn ich bin „weiß“, habe blonde kurze Haare und trage eine Brille.
Auf der anderen Seite wird alles in diesem Land in Farbe getaucht, die LKWs werden bemalt, Willkommenszeichen, die sogenannten „Rangolis“, sind vor vielen Hauseingängen zu finden, es gibt einzigartigste Textildesigns und Farbkombinationen, die Frauen tragen Blumenketten in den Haaren, Tiere wie Affen, Elefanten, Rentiere und Wildschweine laufen frei herum, die Obstauswahl ist fantastisch (es fängt bei mehr als 20 unterschiedlichen Arten von Bananen an) und riesige Bäume ragen empor. Man muss dieses Land einfach lieben.
Kunstprojekt in Bangalore.
Foto: © Regina Weidental
In dem fünfmonatigen Praktikum bei CIVIDEP India habe ich Produktionsstätten von Firmen wie H&M, Ben Sherman und Calvin Klein besucht. Mit relevanten Stakeholdern wie Gewerkschaften, das Arbeitsministerium und der Versicherungsanstalt habe ich gesprochen und Ärzte der städtischen Krankenhäuser über den gesundheitlichen Zustand der Näherinnen interviewt.
In dem Projekt, das ich während meines Praktikums begleitet habe, ging es um die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz und bestehende Beschwerdemechanismen im Bekleidungssektor in Bangalore.
Ich habe feststellen können, dass viele Näherinnen unter dem Feinstaub, der bei der Arbeit mit Textilien entsteht, leiden. Als Folge erkranken viele ArbeiterInnen an Tuberkulose, Asthma und Silikose (Staublunge). Vor allem in Denim-Produktionen, bei denen es zum Einsatz von Sandstrahlen auf Jeans kommt, verursacht der eingeatmete Sand in der Lunge Silikose. Die meisten ArbeiterInnen sind sich der schweren Folgen, die sogar zum Tod führen können, nicht bewusst und werden vom Arbeitgeber nicht über die Notwendigkeit der Schutzkleidung aufgeklärt.
Die Ärzte, die wir interviewt haben, sprachen zudem oft von Depressionen, unter denen Näherinnen leiden können. Denn der Stress, der bereits auf der Arbeit beginnt, hält noch zu Hause an, wo der Haushalt geschmissen werden muss und der Ehemann sich das Recht nimmt, den Verdienst der Frau als seinen eigenen zu handeln. Zusätzlich verlassen viele Männer die Frauen, wenn sie mit einer der zuvor erwähnten Krankheiten diagnostiziert werden.
Insgesamt habe ich viel über die Gesetzgebung in Bezug auf Arbeitsrecht, das Krankenversicherungssystem der ArbeiterInnen, die gesundheitlichen Folgen der Näharbeit und die Arbeit der Gewerkschaften und der NGOs in der Bekleidungsindustrie lernen können. In der Zukunft hoffe ich, als Designerin zu einer sicheren und gesundheitlich förderlichen Arbeitsumgebung der ArbeiterInnen in der Bekleidungsindustrie beitragen zu können.